Latenz von Digital Mischpulten

von | Mai 8, 2019 | Allgemein

Bevor wir etwas tiefer in die Materie einstiegen, möchte ich kurz erklären was Latenz eigentlich bedeutet. Eine Latenz ist im Audio-Bereich nichts anderes als eine Verzögerung.
Doch Welche Latenzen unterschieden wir nun?

1) Latenz durch Luftschall

In der Luft werden Schallwellen gebremst und absorbiert.

Schallwellen benötigen in der Luft je nach Temperatur für einen Meter ca. 3ms. Dies ist eine grobe Faustregel, welche du dir unbedingt merken solltest!

Merke: 1m Distanz = 3ms Verzögerung des Luftschalls (genauer gesagt 3,4ms)

2) Latenz durch AD/DA Wandlung und Signalbearbeitung

Jedes digitale Mischpult hat eine Latenz zwischen Eingangssignal und Ausgangssignal. Die eingehenden Signale müssen digitalisiert, im Mischpult bearbeitet und anschließend wieder von digital auf analog gewandelt werden. Dieser Prozess braucht eine gewisse Zeit.

Die Latenzen von digitalen Mischpulten – auch von günstigen Digitalmixern – sind heutzutage bei den meisten Mischpulten sehr gering.

Beispiel: Latenz Behringer X32

Das Behringer X32 z.B. hat eine sehr geringe Latenz von nur 0,8ms bei 48kHz Samplingrate. Dies ist ein wirklich toller Wert, wenn man bedenkt, dass eine Latenz bei einigen Menschen ab ca. 6ms als störend empfunden wird.

Wichtig zu wissen ist beim Berhinger X32 hierbei, dass in der angegebenen Latenz-Zeit auch das interne Processing mitgerechnet ist. Das inkludiert alle Bearbeitungsmöglichkeiten außer den Effekten im Effekt-Rack!

Die Effekte aus dem Effekt-Rack sind in der Latenz-Zeit von 0,8ms nicht mitgerechnet. Die Effekte aus dem Effekt-Rack produzieren zusätzliche Latenzen, welche addiert werden müssen.

 

Beispiele für Effekte des X32 mit der jeweiligen Latenz-Zeit:

  • Combinator: 0.67-0.71 ms
  • DeEsser: 0.67 ms
  • Enhancer: 0.67 ms
  • Sound Maxer: 0.67 ms
  • Wave Designer: 1.42 ms

Hat man beispielsweise in einer Snare-Drum einen Wave-Designer insertiert, dann kommt man auf eine Latenz-Zeit von 0.8ms + 1.42ms = 2.22ms.

Das alles stellt grundsätzlich kein Problem dar.

Jetzt kommt das große ABER…

Zum Problem wird es, wenn man aufwendigere Signalbearbeitung machen möchte.

Im Falle einer Parallelkomprimierung kann es zu unschönen Kammfiltereffekten kommen!

Der Klang wird hohl, verliert an Druck und klingt als ob ein Phaser oder Flanger auf dem Signal liegt.

In den angeführten Audio Files habe ich folgendes Signalrouting mit einem Behringer X32 erstellt:

Das Stereo Signal eines Songs (vielen Dank an dieser Stelle an die Band „Never Been Famous“) kommt in Channel 1 (links) und in Channel 2 (rechts) an und wird auf den Main-LR-Bus geroutet. Gleichzeitig wird das Signal per Send auf einen Stereo Bus geschickt, in welchem ein Dual Optimo Compressor insertiert ist. Der Stereo-Bus wird ebenso auf den Main-LR-Bus geroutet. Der Dual Optimo Compressor produziert eine Latenz von 0,67ms. Durch das Zusammenmischen der Signale aus den Channels und dem verzögerten Signal aus dem Stereo-Bus, entsteht ein unschöner Kammfiltereffekt.

Im ersten Audio-File hört ihr den Original-Sound und im zweiten File hört ihr die zusammengemischten Signale mit Kammfiltereffekt.

Original (Song: Anthem Whore)

von Never Been Famous

Kammfilter (Song: Anthem Whore)

von Never Been Famous

Wie können wir dieses Problem beim Behringer X32 lösen?

Bei Verwendung der Effekte aus dem Effekt-Rack, können wir das Problem lösen, indem wir in beide Signale oder Signalgruppen den gleichen Effekt insertieren. Einmal ist der Effekt im Bypass-Modus und einmal nicht. Ich addiere somit jedem Signalweg die gleiche Latenz durch hinzufügen des gleichen Effektes. Leider ist dies keine elegante Lösung und verschwendet viel Ressourcen.

Für Parallelkomprimierung gibt es bessere Lösungen:
Möchte man ein einzelnes Signal parallel komprimieren, wäre beim X32 ein möglicher Weg das Signal in einen weiteren Channel einzufügen (über „Source“ im Channel) und im zweiten Kanal Parallelkomprimierung mit dem Channel-Kompressor zu betreiben. Hier entstehen keine Kammfiltereffekte da das interne Processing (EQ, Gate, Kompressor,…) so ausgelegt ist, dass sich die Signale zeitlich anpassen. Über den Channel-Fader lässt sich das komprimierte Signal nun nach belieben hinzu mischen.

Parallelkompression kann man auch mit den Kompressoren in den Channels und Bussen bewerkstelligen. Diese verfügen über einen Mix-Regler mit welchem man das Mischungsverhältnis zwischen unkomprimiertem und komprimiertem Signal definieren kann. Dies ist im Endeffekt nichts anderes als Parallelkompression. Externe Kompressoren können mit dieser Methode aber leider nicht verwendet werden.

Gibt es dieses Problem auch bei anderen Mischpulten?

Grundsätzlich JA!

Wollt ihr komplexere Signalbearbeitung ausüben, klärt unbedingt vor dem Mischpult-Kauf ob das Mischpult eurer Wahl über eine Delay-Kompensation (dazu später mehr) verfügt. Vor allem auch für Effekt-Slots wie beim Behringer X32.

Bei den teureren Mischpulten sind diese Probleme meist gelöst.

Das Allen & Heath SQ5 z.B. ist so ausgelegt, dass alle Signale stets phasenkohärent sind. Das Ergebnis ist ein klarer und druckvoller Sound, egal ob z.B ein EQ ein- oder ausgeschaltet oder ein Effekt verwendet wird oder nicht. Und das bei einer sehr geringen Latenz von stets 0,7ms!

Gibt es dieses Problem auch bei einer DAW (Digital Audio Workstation)?

Nein, so gut wie nicht mehr.

Alle gängigen Sequencer wie Cubase, Logic usw. arbeiten mit Delay Compensation.

Delay Compensation bedeutet, dass entsprechende Signale soweit verzögert werden, dass sie mit dem langsamsten Signal (z.B. das Signal mit dem rechenintensivsten Plugin) zeitlich wieder übereinstimmen.

Nehmen wir an in Channel 1 sind ein EQ, ein Gate und ein Kompressor aktiv. Durch diese Bearbeitungsschritte entsteht ein Delay von 100 Samples. In Channel 2 und 3 ist das Signal weniger bearbeitet worden und hat somit weniger Verzögerung als das Signal in Channel 1. Channel 2 und 3 müssen sich nun an dem langsameren Channel 1 orientieren. Durch die Delay Compensation wird den Kanälen automatisch so viel Delay addiert, bis sie mit Channel 1 zeitlich wieder aufschließen.

Diese Maßnahme gilt nicht nur für Channels sondern auch für Busse usw.

Fazit:

Vorsicht bei aufwendiger Signalbearbeitung bei Live-Mixing!
Durch fehlende Delay Compensation kann dein Sound drucklos und hohl klingen. Bevor du ein Konzept für deine Signalbearbeitung ausarbeitest, prüfe ob dein Mischpult über eine entsprechende Delay Compensation für die notwendigen Bearbeitungen verfügt.

Beste Grüße
Gerald von GRZ Audio

 

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